KAPITEL S
17
Ausdrucksgehalt, Symbolwirkung und Aura mikrotonaler Musik
Mikrotonale Musik wird in Europa derzeit nicht gerade im Fokus des Scheinwerferlichtes entwickelt, sondern eher innerhalb von kleinen Expertenkreisen. Diese Situation bringt Vorteile und Nachteile mit sich: Einerseits ist das komponierende Forschen relativ frei von außermusikalischen Einflüssen und Verwicklungen. Andererseits ist die Abhängigkeit der Proponenten von ihren jeweiligen speziellen Förderungsinstanzen relativ exklusiv. Damit hängt zusammen, dass es meist ganz spezielle Wirkungen mikrotonaler Musik sind, nach denen im jeweiligen Umfeld gesucht wird. Viele Aspekte werden jeweils völlig ausgeblendet.
Die mit mikrotonalen Neuentwicklungen heute verbundene Aura des „Esoterischen“ ähnelt einer Situation, in der einst die Oper entstand: Am fruchtbarsten wirkten damals die Irrtümer jener Komponisten, welche den inneren Auftrag verspürten, die antike Tragödie wieder zu beleben – und denen dabei etwas Neues „passierte“, nämlich die Oper. Die Aura der Oper gab es bis dahin nicht. Und heute wird (im allgemeinen Bewusstsein) der mikrotonalen Musik noch relativ wenig „typischer“ Ausdrucksgehalt zugeordnet.
Musik wird aber kaum jemals als ein „Absolutum“ wahrgenommen, welches nichts zu tun hätte mit menschlichen Verwicklungen, Wertungen, Gefühlen, Trieben usw. Dadurch ist zu erwarten, dass mikrotonale Musik sofort bei ihrem Eintreten in größere Hörerkreise Wirkungen entfalten kann, mit denen heute in keiner Weise gerechnet wird. Mögen Wirkungen nun als passend oder unpassend, als beabsichtigt oder unbeabsichtigt, als verantwortbar oder als nicht verantwortbar erscheinen: Ausdrucksgehalt, Symbolwirkung und Aura jeder Musik entfalten sich unvermeidbar – unabhängig davon, ob Musikschaffende das wollen (und gut finden) oder nicht.
Am höchsten wird eine verbal nicht bewältigbare Wirkung von Musik vielleicht dort bewundert, wo das Erklingen von Musik gänzlich „verboten“ ist. Aber gerade dort führt die Unkenntnis der Musik und ihrer Begleitwirkungen dann immer wieder einmal zu Folgen, die anderes (und teils auch umgekehrtes) auslösen als ursprünglich erhofft oder gemeint war.
Musik hat Aura – gerade auch wenn diese Aura erst von den Menschen in ihren Köpfen und Herzen kulturspezifisch geschaffen und ausgeformt wird.
In europäischen Ohren klingt japanische Hofmusik z.B. immer noch „fremdartig“. Die Aura des Fremden (Geheimnisvollen usw.) umgibt diese Musik.
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Während „die Aura“ bei traditioneller Musik relativ klar zugeordnet werden kann, gilt das hur in sehr begrenztem Ausmaß auch für mikrotonale Musik. Wo eine „bestimmbare“ Aura einer „bestimmten“ Musikgattung fix zugeordnet wird, da wird mit Musik anders umgegangen als dort, wo noch keine „Typenbildung“ begonnen wurde – und wieder anders dort, wo bestimmte Zuordnungen üblich sind, aber eher flexibel wirksam werden.
Nun geht es heute längst schon um die Fragen einer Typenbildung „mikrotonale Musik“. Was bedeutet mikrotonale Musik ? Was bewirkt „sie“ ? Welcher Aura entstammt sie ? Welche Assoziationen löst sie aus ? Wie viele verschiedene „Archetypen“ kann es innerhalb „DER“ mikrotonalen Musik geben ?
Aus diesem Kapitel wird hier nur ein Teil veröffentlicht.