Ulf-Diether Soyka
Audiokunst selbständig neben Neuer Musik
Artikel erschienen 1998/99 in: Jahrbuch des Österreichischen Komponistenbundes, Wien:
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Im Jahr 1999 publizierte in der Österreichischen Musikzeitschrift Rainer Bonelli zum Thema Audiokunst und Neue Musik eine Stellungnahme des Österreichischen Komponistenbundes. Darin wird eine möglichst klare Unterscheidung zwischen Audiokunst einerseits und Neuer Musik andererseits angeregt, um beiden Entwicklungen förderlich gerecht zu werden.
Immer erfolgreicher und häufiger werden inzwischen Produktionen der Audiokunst, wodurch diese als völlig eigenständige Kunstform neben der Neuen Musik aufgefaßt werden kann. Die Fortschritte in den letzten Jahren weisen dabei überraschend klare Parallelen zu früheren Entwicklungen in anderen Kunstsparten auf:
So wie sich einmal der Film vom Theaterbetrieb trennte und im Künstlerischen Film heute eigene Produktionsvoraussetzungen und Fördererungsstrukturen bekommen hat, so hat zuvor auch die Fotokunst sich von der Malerei getrennt. Diese Trennung hat jeweils beiden Kunstformen gut getan. Es gab auch dabei zunächst unklare Entwicklungen, es gibt bis heute Mischformen zwischen Theater und Film, zwischen Malerei und Fotografie, und fallweise sind Künstler in beiden Sparten qualifiziert. Grundsätzlich wird aber inzwischen klar zwischen den Kunstgattungen unterschieden.
Auch die Audiokunst ist selbständig geworden. Von der Neuen Musik unterscheidet sie sich spätestens seit der Einführung interaktiver Medienprozessoren bereits in mehr Merkmalen als sie ihr gleichen würde. Man denke nur an Events, die heute in Klangtürmen, Klangwolken und im Internet stattfinden. Ohne Entscheidungen der betreffenden Künstler der Audio-Art, Klangkunst usw. vorweg zu nehmen, kann festgestellt werden, daß es auch in der Audiokunst unterscheidbare Strömungen gibt, die teils mehr zu kommerzieller Unterhaltung, teil zu avantgardistischer Forschung tendieren.
Wo anspruchsvolle Audiokunst heute geeignete Produktionsbedingungen vorfindet, erwartet man nicht Konzertsäle, mechanische Musikinstrumente, Publikums-Abonnements, Probenpläne oder Mitwirkungsformen der Neuen Musik. Andererseits besinnen sich die Audiokünstler/innen auf die Unterschiede zum rein kommerziellen Videospiel/Computerspiel - typisches Merkmal ihrer Eigenständigkeit.
Daher wird im Komponistenbund angeregt, neben der Neuen Musik die Audiokunst als selbständige Kunstform anzuerkennen: Ihre rasante Entwicklung braucht eigenständige Förderungsstrukturen, sie hat längst eigene Qualitätskriterien, Arbeitsbedingungen, Interessentenkreise usw. aufgebaut, die sich gründlich von denen Neuer Musik unterscheiden.
Andererseits gibt es auch in der Neuen Musik weiterhin Überraschendes, das zu neuen Entwicklungen führt: Nicht nur neue Kompositionen und Komponist/inn/en, sondern auch neue Formen der Life-Veranstaltung, Neuentwicklungen im mechanischen Instrumentenbau, neuartige Ensembleformen, neue Notationsformen und Notenschriften (wie z.B. für mikrotonale Instrumentalmusik) usw.: Die Entwicklung Neuer Musik ist lebendiger denn je.
Komponist/inn/en können künftig sowohl Neue Musik schaffen wie auch Audiokunst (ähnlich wie auch Autoren bzw. Regisseure sowohl für die Bühne wie für den Film arbeiten können). Mischproduktionen beider Kunstformen wird es wahrscheinlich noch lange geben. Aber gerade deshalb soll die Anregung des Österreichischen Komponistenbundes rechtzeitig Konsequenzen haben - in Ämtern, Ausbildungsstätten, bei Sponsoren und Mäzenen, Veranstaltern, in Archiven usw., bis hin zur Erweiterung der Kunstförderung in Europa.
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Erschienen 1998/99 in: Jahrbuch des Österreichischen Komponistenbundes, Wien. Der Autor ist freischaffender Komponist und Dozent für Komposition am Prayner Konservatorium Wien