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Ulf-Diether Soyka

Musikalische Innovation und Musiktheorie:

Gute neue Musik hat und hatte immer Seltenheitswert. Ich muss zugeben, dass sich daran auch nichts ändern lässt durch Erläuterungen im Internet. Und das verbale Nachdenken über Musik kann niemals das klingende Ereignis ersetzen.

Einige musiktheoretische Hintergründe meiner kompositorischen Arbeit kann ich allgemein bekannt geben. Sie sind teilweise als Anregung für Menschen gedacht, welche sich intensiver mit den Noten auseinandersetzen und an Entwicklungen im Musikleben aktiv mitwirken wollen.

Meinem Komponieren liegen gewisse Axiome zugrunde, darunter auch recht subjektive Annahmen. Einige davon haben sich mir in jahrelanger intensiver Beobachtung des Musiklebens bestätigt. Manche der beschriebenen Gedanken hängen indirekt zusammen mit Neuerungen des Tonsatzes im 20. Jahrhundert. Einzelheiten dazu erläutere ich in den folgenden Zeilen.

- Erstaufführungen unterscheiden sich von Reprisen nicht nur dadurch, dass für sie ein größerer Zeitaufwand zur Vorbereitung benötigt wird. Sondern auch das Risiko ist für alle Beteiligten höher: Niemand kann im Voraus wissen, was daraus wird, worauf man sich da mutig und neugierig einlassen will.

- Die Musikgeschichte hat eben erst begonnen - auch für Konzertsäle, für Kammermusik, Kirchenmusik, Oper, Musical usw. können noch viele neue Stile gefunden werden. Und etliche darunter können begeisternd wirken.

- Über die Geheimnisse von Klangwelten nachzudenken, ist sinnvoll - Komponieren und Forschungsarbeit auf musiktheoretischem Gebiet werden immer wieder Wesentliches für die Zukunft der Menschheit beitragen.

- Die Methode der Datenspeicherung auf rotierenden Scheiben hat nach dem Musikleben auch die gesamte technische Welt verändert - in näherer Zukunft bieten Mikrotonale Audiokunst und Musik ungeahnte neue Herausforderungen.

-  Für mikrotonale Polyphonie werden als "Instrumente" spezielle Mikroprozessoren benötigt - mit allen Folgen für tradierte Notenschriften, für musikpädagogische Einrichtungen, für Massenmedien usw.

- Auf Forschung und Neu-Entwicklung im mechanischen Musik-Instrumentenbau  soll neben der aktuellen "Mikro"-Revolution nicht vergessen werden - gerade hier können Programme zum musikalischen Minderheitenschutz besonders interessante Ergebnisse bringen.

- Das entscheidende Organ, mit dessen Hilfe musikalisch geforscht wird, ist das menschliche Gehör - alle anderen Sinnesorgane und alle Instrumentarien haben in diesem Zusammenhang Hilfsfunktionen. 

- Stimmige Forschungsergebnisse lassen sich u.a. auch in Worten vermitteln, als Beiträge zu Musiktheorien, in Form von Patenten für neu entwickelte Klangwelten.

- Letztlich aber können wir nur mit Hilfe unseres Gehörs entscheiden, welche musikalischen Neuerungen für die Zukunft sinnvoll sind.

Beiträge zur Erneuerung der Musik

Welche Beiträge dazu meine eigene Musik und deren theoretische Analyse leisten kann, und aus welchen Quellen ich angeregt wurde, ist in den folgenden Absätzen kurz beschrieben:

Beiträge zu Reformen in der Klangwelt

In etlichen Orchesterpartituren schreibe ich (neben traditionellen, seltenen außereuropäischen sowie elektroakustischen Instrumenten und Samples) auch ein völlig neu zu entwickelndes Blasinstrument vor, welches ich „Dulcinett“ nenne. Dieses Instrument ist noch nie gebaut worden. Es kann helfen, die Klangbalance im Orchester auszugleichen - denn durch die Umstellung der Streichinstrumente auf Stahlsaiten wurden die Lautstärkenverhältnisse zwischen den Gruppen stark verändert. Dieses neue Instrument "Dulcinett" höre ich innerlich, es passt zum Orchester, es kann rasche und kantable Melodien mühelos spielen - und es erfüllt meinen Traum von einem neuartigen "belcanto"-Klang im Tenor. Ich hoffe, dass jemand bald dieses Instrument baut, so dass ich es noch in Aufführungen erlebe.

Beiträge zu Reformen in der Rhythmik

Seit einiger Zeit beschäftigen mich Rhythmen, die für Europa sehr neuartig sind, z.B. Synkopen-Strukturen in 5/8- bzw. 5/4-Takten unterschiedlicher Tempi. Solche Rhythmen habe ich auch in Ballett-Produktionen (wie z.B. DAS IDOL) praktisch erprobt. Diese 5/8-Rhythmik steht in Wechselwirkung mit einigen von mir bevorzugten Tonleitern.

Beiträge zu Reformen in Tonskalen

Ich setze die Erforschung einiger mehrstufiger Skalen fort, welche schon von Olivier Messiaen und im Jazz erprobt wurden. Diese Skalen haben ihre melodischen und tonalen Schwerpunkte auf anderen Stufen als die "klassischen" Tonleitern. Für mich kommt die Wirkung der neuen Skalen speziell in den bisher weniger bekannten Taktarten besonders zur Geltung. Hier entsteht eine neuartige Wechselwirkung mit den Harmoniefolgen.

Beiträge zu Reformen in der Harmonik

Es gibt Zwölfton-Kadenzen. Die neuen Tonskalen sind untrennbar verbunden mit einer harmonischen Struktur, welche auf der traditionellen Kadenz der siebenstufigen Tonleiter aufbaut, und diese teils völlig ersetzen kann. Ich habe diese Struktur ab etwa 1980 als „harmonia nova“ bezeichnet - in Analogie zur mittelalterlichen „harmonia perfecta maxima“, mittels welcher die diatonische Kadenz mathematisch begründet wurde. Das von mir 1981 angeregte Ensemble für neue Musik „harmonia nova“ hat den musiktheoretischen Hintergrund dieser Bezeichnung allerdings nicht mit vollzogen und sich später umbenannt in "h. classica", und wurde folgerichtig umgewandelt in eine Gruppe traditionell denkender Komponisten. In der Österreichischen Gesellschaft für Musik habe ich im Jahr 1986 die von mir gemeinte Tonstruktur in einem Vortrag ausführlich beschrieben. Diese Kadenz ist prinzipiell immer zwölftönig (aber nicht zwangsläufig seriell). Sie kann (muss aber nicht) aus Klangreihen (nach J.M.Hauer) abgeleitet werden - jedenfalls ermöglicht sie im dodekaphonen Zusammenhang immer das Setzen tonaler Schwerpunkte in Dur und Moll, bis hin zu ganz einfachen Sätzen. Entdeckt wurde diese Struktur bereits von A. Berg, R. Strauss, J. N. David und anderen (eventuell schon im 19.Jahrhundert). Heute ist sie anscheinend nur wenigen Komponisten bekannt, ansatzweise z.B. in Hollywood (USA). Als in sich stimmiges Tonsystem wird sie nirgends gelehrt (soweit ich weiß). Sie baut u.a. auf den von A.Schönberg publizierten Tonnetzen und auf P.Hindemiths "Tonverwandtschaften"  auf. Sie kann als Synthese "atonaler" und "tonaler" Musik ebenso gedeutet werden, wie als Konsequenz aus dem "Modalen Satz" Fr. Neumanns. Derart komponierte Zwölftonmusik klingt fallweise so "tonal", dass sie auch von Laien- und Kinderchören mit dem Gehör bewältigt werden kann.

Beiträge zu Reformen in Konsonanz und Dissonanz (Konkordanz und Diskordanz)

Von einem "konsonanten Septimensatz" zu sprechen, ist heute nicht übertrieben. Zu dieser musiktheoretischen Entdeckung hat mich zunächst das hörende Forschen geführt - es waren begeisternde Musikwerke großer verstorbener Komponisten, die ich dann auch im Notentext analysieren wollte. Mein eigener Beitrag zeigt sich u.a. in den "Drei Septimen-Etüden" aus den "Chiromantischen Konzertetüden für Klavier" (1987/88). Neben Oktaven, Quinten, Quarten, Terzen und Sexten können auch der Tritonus sowie große und kleine Septimen konsonant (!) erlebt werden. Dabei spielen viele weitere Phänomene eine Rolle, wie z.B. die Anordnung von Zusammenklängen in "enger" oder "weiter" Lage. Neue  Fragen  stellen sich dadurch zur Instrumentation (Schwebungen, Sonanzgrad, Klangfarbe, Verschmelzung  usw.), und sogar zur physikalischen Tondauer (bei Klaviermusik z.B.). Meine langjährige Vermutung, dass die "klassische" Unterscheidung zwischen "Dissonanz" und "Konsonanz" für neue Musik zu einfach ist, bestätigten seither viele Hörer. Diese Unterscheidung ist bei 12-töniger Musik stark vom musikalischen Zusammenhang abhängig, und hier können alle (selbst die zumeist "konsonanten") Intervalle in entsprechendem Zusammenhang auch als "dissonant" erlebt werden. Es gibt demnach auch in zwölftöniger Musik einen gültigen Unterschied  zwischen Konsonanz und Dissonanz - allerdings in bisher kaum erforschter Weise. Dies ist eine wesentliche Erkenntnis des 20. Jahrhunderts, welche A.Schönbergs Annahme (es gebe in Zwölftonmusik keinen Unterschied zwischen Konsonanz und Dissonanz mehr, diese sei notwendigerweise "atonal") in ganz anderem Licht erscheinen lässt. Um aber heute eine Verwirrung der Begriffe zu vermeiden, kann es sinnvoll sein, den Begriff "Konsonanz" nur für "klassische" Musik (siebenstufige Tonleitern) zu verwenden, Zwölftonkadenzen und Septimensatz dagegen nicht als "konsonant", sondern als "konkordant" zu bezeichnen.

Beiträge zu Reformen in der Melodik

Aus der Entdeckung bestimmter Zwölftonkadenzen folgt eine bis dahin kaum beobachtete Befreiung der Melodie. Einerseits besteht nun die Möglichkeit, jederzeit frühere Musikstile zu imitieren, ohne den neuen Stil zu verlassen - andererseits wird die jeweilige Melodie unabhängig von klassischen  Regeln der Heptatonik, von neueren Regeln des Modalen Satzes, von obligaten Reihenfolgen Serieller Musik usw.: Harmonie ist daher für jede Melodie möglich - wenn man so will. Es muss keinen Widerspruch zwischen subjektiver Melodik und harmonischem Zusammenklang mehr geben - aber es kann ihn geben, wo er beabsichtigt ist.

Beiträge zu Reformen in der Musiktheorie

Die meisten dieser Details könn(t)en durch musiktheoretisch geschulte Fachleute bei gründliche Analyse auch ohne meine explizite Erklärung entnommen werden aus meinen Partituren (z.B. aus den Septimen-Konzertetüden). Darüber sind bisher erst wenige analytische Arbeiten durchgeführt worden. Die kompositorische Erforschung der Möglichkeiten TONALER Zwölftonmusik in Dur und Moll mit dazugehörender Rhythmik, Melodik, Instrumentation usw. kann eine wesentliche musikalische Neuerung des 21. Jahrhunderts darstellen.

Innovation und Intonation

Eine wesentliche Grundlage dieser Reformen ist die "gleischschwebende" logarithmische Temperierung der 12 Tonstufen innerhalb des Oktavrahmens 1:2. Außer der Oktave kann hier kein Intervall mathematisch "rein" aus rationalen Frequenz- oder Saitenlängen-Verhältnissen gebildet werden. Ähnlich wie die historischen Modelle der "Tonarten-Charakteristik" und -"Symbolik" erlebt wurde anhand der "reinen", bzw. "mitteltönigen" Stimmung siebenstufiger Tonskalen, so beruht heute die Klangwelt "harmonia nova" auf der "wohltemperierten" Stimmung. Diese 12-tönigen Kadenzen usw. zeigen sich in gewissem Sinne als logische Konsequenz aus der Intonation der 12 chromatischen Tonstufen (Frequenzverhältnis des Halbtons 1 : 12.Wurzel aus 2).  Es handelt sich um eine konsequente Entfaltung der Möglichkeiten, die dieser Skala immanent innewohnen. Die daraus neu resultierende  Musik ist ein Ergebnis hörenden Forschens innerhalb von Eigengesetzmäßigkeiten der Welt der Töne. Dabei hat sich für mich bestätigt, dass es das Hören erleichtert, wenn lebende Ausführende die Musik zum Klingen bringen - sie weichen oft gezielt ein wenig ab von den logarithmischen Frequenzen. Diese meist minimalen Korrekturen entsprechen der "Tonalität" der jeweiligen Zwölfton-Kadenz, bestimmten Leitton-Strebungen usw., und dadurch klingt das Ergebnis für hörende Menschen besser als bei puristisch exakter Ausführung durch Maschinen.

Wertung von Innovationen in der Musik

Auch Komponieren und Forschen haben ihre naturgegebenen Grenzen, wo es gilt, das Gefundene und Geschaffene selbstkritisch wahrzunehmen. Neue Forschungen werden notwendig sein, bis Musikpsychologie, Musikwissenschaft usw. die seit Beginn des 20. Jahrhunderts aufgeworfenen Fragen klären können. Auch  "Harmonia nova" kann nicht der einzige mögliche Weg sein, und die Art wie ich meinerseits diese Möglichkeiten nütze, kann nicht zur einzigen denkbaren Ästhetik werden. Schließlich sind die oben beschriebenen Reformen teils Konsequenzen aus vielfältigen musikalischen Entwicklungen, sie sind nur zum Teil meine eigenen Entdeckungen. Die Details können gehört und auch musiktheoretisch und analytisch beschrieben werden. Unabhängig vom klingenden Ergebnis und von dessen sachlicher Beschreibung erfolgt aber die Wertung (z.B. durch hörende Menschen): Kann so ein neues Tonsystem allgemein eingeführt werden (wobei es z.B. um eine Neubewertung von Konsonanz und Dissonanz bzw. um Konkordanz und Diskordanz gehen kann) ? Sind diese Reformen sinnvoll ? Bringen sie haltbare musikalische Ergebnisse ? Gefallen die klingenden Ergebnisse hörenden und musizierenden Menschen ? Wofür eignen sich die Ergebnisse solcher Neuerungen ? Als Komponist hat man natürlich seine eigene Meinung zu diesen Fragen, und man arbeitet aus Begeisterung für das Gefundene eifrig weiter. Aber man wird die angesprochenen Entscheidungen nie alleine treffen.

Einige meiner Gedanken zur WERTUNG neuer Musik habe ich publiziert unter dem Titel "Wie (in)tolerant wirken Schönheitsbegriffe ?" (siehe unten).

Noch nicht bewältigte Beiträge zu Reformen in der Musik

Meine kompositorischen und musiktheoretischen Arbeitsergebnisse können auch nur Vorstufen für die Musik der Zukunft darstellen. Sobald in allgemein  mitvollziehbarer Stilistik die tonalen Konsequenzen der Dodekaphonie bewältigt sein werden, kann auch die Erforschung der vielstufigen Mikrotonalität Erfolg haben. Seit den Versuchen bei M.Vogel (Bonn) in den 1970er-Jahren habe ich daran fallweise musiktheoretisch weiter gearbeitet. Zwar sind die Musik-Computer noch immer nicht ausgereift genug für stimmige Ergebnisse – aber es ist ohnehin die Frage, ob mikrotonale Musik von ihrem Funktionieren abhängig gemacht werden soll. Eine Fülle neuer Möglichkeiten wurde inzwischen entdeckt, die weit über den bisher gekannten Musikbegriff hinaus führte. Einzelne Komponierende können nur jeweils eine spezielle Auswahl von Zusammenhängen zum Klingen bringen. Musiktheoretische Veröffentlichungen und Tonträger zu diesen Zusammenhängen wurden und werden aktuell vorgelegt. Darunter darin finden sich u.a. Hinweise auf musiksoziologische Folgen mikrotonalen Komponierens (unten folgt eine Liste weiterer theoretischer Artikel). Seit 2006 ergab sich für mich und die bei mir Studierenden die Möglichkeit, eine Fülle von mikrotonalen Kompositionen aufzunehmen, aufzuführen und zu veröffentlichen.

Mikro-Tonale Musik

Mein Schritt hin zu mikrotonaler Musik war klein. Er folgte ebenso logisch aus der Zwölftonmusik wie diese aus der siebenstufigen Durtonleiter folgte (und diese wieder aus der Pentatonik): Wer zwölftönige Harmonien in „just-intonation“ (reintonal) ausführt (was heute z.B. der „Harmonizer“ in der Unterhaltungsmusik kann), der bekommt automatisch mikrotonale Klangergebnisse. Und wer sich die Mühe macht, die Aufführungen von Zwölfton-Kompositionen akustisch nachzumessen, bekommt den Beleg, dass die Musik des 20. Jahrhunderts ebenso „mitteltönig“ aufgeführt wurde wie die aller Jahrhunderte zuvor. Es entspricht also der inneren Logik der akustischen Phänomene und der kompositorischen Betätigung, wenn komponierende Menschen beginnen, unter den gemeinten Parametern der Musik auch die Tonhöhen möglichst exakt (und wo es nötig ist: auch mikrotonal) zu notieren. 

Neuartige Fragestellungen

Falls also in Richtung Mikrotonalität künftig weiter bevorzugt geforscht und komponiert wird, dann werden bestimmte typische Fragestellungen verstärkt zum Allgemeingut. Dazu gehören dann Themen wie

- Möglichkeiten und Folgen "mathematisch reiner" Klang-Intonation,

- „orientalische, exotische“, von der gleichschwebend-zwölfstufigen Temperierung abweichende Tonskalen,

- deren praktische Wechselwirkung mit traditionell europäischer Polyphonie,

- Auswahlkriterien, warum welche Frequenzkombinationen bevorzugt werden,

- "Frequenzabweichungen", z.B. beim Intonieren von Zwölfton-Kadenzen,

- unterschiedliche Intonations-"Interpretationen" (z.B. „geschärfte Leittöne“) auch bei klassischer Musik,

- neue Temperierungsmodelle für vielstufige Mikroton-Felder  - bekannt sind heute z.B. die gleichschwebend temperierten 72 Stufen pro Oktave von Franz Richter-Herf (Salzburg),

- Einführung von Modellen mikrotonaler Kompositionspädagogik,

- mikrotonales Gehörstraining,

- adäquate Ausführung neuer Kompositionen mit Mikrointervallen,

- Popularmusik, Filmmusik usw. mit Mikrointervallen,

- neue Urheberrechtsfragen bei "mikrotonal-ähnlich klingenden" Ergebnissen.

- u.v.a.

Ausblick:

Wir alle sind täglich beteiligt an Entscheidungen darüber, wohin sich das Musikleben entwickeln wird. Besonders naheliegend ist derzeit das Neue, welches durch Informationstechnologien ermöglicht wird. Nun gehören aber Mikrotonale Musik und Mikroprozessoren ebenso konsequent zusammen wie Pentatonik zum einstimmigen, oft improvisierten Gesang, wie Heptatonik zu mehrstimmiger Chormusik mit "tonaler Zentralperspektive" oder wie Dodekaphonie zum  Orchester und zur chromatisch erweiterten Notenschrift. Und jedes dieser Denk- und Tonsysteme korresponidert indirekt mit bestimmten Gesellschafts- und Lebensformen, Auswirkungen auf die Umwelt usw.

Der "Slalom zwischen bereits urheberrechtlich geschützten Melodien" wurde seit 1900 immer enger gesteckt. Nicht zuletzt die Regelungen der Urheberrechte motivieren indirekt immer mehr Musikschaffende zur Entwicklung mikrotonaler Musik - mit allen Konsequenzen für Musikleben, Gesellschaftsformen und Umwelt.

Bei der Gründung des Ensembles "harmonia nova" war von mir u.a. die Aufführung genialer mikrotonaler Kompositionen wie "Anahit" von Giacinto Szelsi intendiert - und es wäre mir eine Ehre gewesen, später mit dem Ensemble auch feinstufige Musik wie den 2.Satz aus dem Streichquartett Nr. 2 opus 35 von Johannes Kotschy oder "The garden of the Apsaras" von Hans-André Stamm zur Aufführung zu bringen. Ich konnte diese Ideen unter den damals gegebenen Umständen nicht verwirklichen. Damit haben sich bald darauf das Klangforum Wien, das Stadler-Quartett Salzburg und andere erfolgreich befasst. Wie weit die Kraft solcher Entwicklungen in die Zukunft weisen kann, wird heute erkennbar.

Mein eigener Beitrag zu mikrotonalen Entwicklungen wird seit 2006 deutlich. Neben Anregungen für die bei mir Studierenden im Kompositionsunterricht am Prayner-Konservatorium in Wien und dem musiktheoretischen Beobachten dieser neuen Entwicklung, ist seither eine Fülle mikrotonaler Kompositionen aufgenommen und aufgeführt worden. Die enharmonische Orgel von Hans-André Stamm bietet dafür besondere Möglichkeiten: Mikrotonales Notenlesen ist leichter, als vielfach vermutet wurde. Life-Konzerte sind damit ebenso möglich wie das Einspielen von Aufnahmen gemeinsam mit diversen Instrumenten. Beim übenden Erlernen  mikrotonaler Strukturen kann den Ausführenden zielführend geholfen werden. Und das Instrument bietet eine echte Alternative zur Kälte elektroakustischer Produktionen: Die Orgel ist im Prinzip nicht abhängig von Mikroprozessoren – sie funktioniert als traditionelle Orgel mit einer phantastisch zielführenden Anordnung der Tasten und Orgelpfeifen. Damit kommt sie meinen Bedürfnissen als Instrument mit real-time-Charakter entgegen. Wünschenswert wäre, wenn mehr junge Menschen die Tastenanordnung (in der jede Tonart prinzipiell mit dem gleichen Schwierigkeitsgrad zu spielen ist) durchschauen und bewältigen könnten. Derzeit muss ich noch den Orgelpart jeder Uraufführung selbst einüben.

Wohin geht die neue Musik ?  Welche Voraussetzungen braucht sie ? Hier rechtzeitig voraus zu denken, erscheint mir besonders wichtig. Denn schon die sogenannte Zwölftonmusik hatte indirekt enorme gesellschaftliche Auswirkungen.

Dazu kommt der hohe Spannungsgrad, den die meisten mikrotönigen Strukturen im Gehörseindruck bewirken. Ich selbst habe dadurch immer wieder das innere Bedürfnis, mich auf ganz einfache emotionelle Formen zu beschränken - phasenweise. Die eigentliche Fragestellung erkenne ich in der Wechselwirkungen von so unterschiedlichen atonalen, tonalen, mikrotonalen u.a. musikalischen Satzweisen. Dies gilt zunächst für das aktive Komponieren.

Einige theoretische Fragen, die sich  stellen, lauten: Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Mikrotonaler Musik, traditioneller Notenschrift, Tonträgern und den Lebensformen musizierender sowie hörender Menschen ? Lässt sich mikrotonale Musik als ein eigenständiges kulturelles Phänomen wahrnehmen ? Wie erfolgt die persönliche Wertung der Hörenden – und kann sie etwas beitragen zu Ergebnissen von bleibender Gültigkeit ?

Irdische Musik wird ja immer von sehr menschlichen Umständen begleitet sein - gerade wenn sie wundervoll gelingt und uns den Himmel voraus zu ahnen hilft.

 

MMag.art. Ulf-Diether Soyka, Komponist | Marzellingasse 12/14 | A-3400 Klosterneuburg | Tel.mobil +43 676 4268277.
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