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Kapitel T

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Mikrotonale Musik – Gebrauch und Missbrauch

 

Wo Musik nicht gänzlich unbrauchbar gemacht werden soll, da wird sie immer in irgend einer Form gebraucht und genützt werden. Und wo Musik gebraucht wird, wird nie gänzlich vermeidbar sein, dass Musik auch missbraucht wird.

 

Wo in diesem Kapitel von Missbrauch der Musik die Rede sein wird, da soll damit nicht unbedingt gesagt werden, dass alle handelnden Beteiligten die Absicht hätten (oder gehabt hätten), Musik in unredlicher Weise (z.B. mit kriminellen Absichten) zu missbrauchen. Sondern es kann sich die Frage stellen, wieweit ein fortgesetztes Wirken musikalischer Traditionsbindungen in Konflikt kommen müsse mit Neuentwicklungen (etwa in der Mikrotonalität).

 

Wo ich das Wort Missbrauch verwende, habe ich meinen Gebrauch dieses Wortes zu definieren und offen zu legen. Mir geht es dabei um eine Definition im Hinblick auf kompositorische Forschungs- und Schaffensprozesse.

 

Missbrauch nenne ich hierbei alles, was die innermusikalische Gedanken- und Mitteilungsfreiheit einschränkt, indem z.B. die musikalische Publikationsfreiheit behindert wird.

 

Zusätzliche Schranken werden heute oft „kommerziell begründet“. Ich gebe dabei gerne zu, dass kompositorisches Forschen und Schaffen selbst nicht immer und überall sinnvoll sein kann, und dass meine Wertung von Gebrauch und Missbrauch auf spezielle Situationen bezogen ist. Aber diese Situationen (und damit die durch Missbrauch verursachten Einschränkungen) werden häufiger, und sie werden verbal kaum besprochen.

 

Die als wertvoll empfundene neue Option „Mikrotonalität“ kann in der Praxis in Konflikt kommen mit ebenso als wertvoll empfundenen Musiktraditionen. Da können Entscheidungen unvermeidlich werden – z.B. ob verzichtet werden müsse auf scheinbare Doppelgleisigkeiten, ob Mehrdeutigkeiten zu verstärken oder aufzugeben seien, wer darüber wertend zu entscheiden habe, usw.

 

Solche Entscheidungen kann ich nicht alleine verantworten, da sie Entscheidungen von Menschengruppen sind. Ich kann nur meine musikalisch kompositorische Arbeit möglichst gut leisten, und aufmerksam machen auf die damit verbundenen Fragenkomplexe, Wirkungen, Problemstellungen – oder exakter formuliert: Auf Erfahrungen, die ich gemacht habe, und auf daraus mögliche Vorerwartungen.

 

Es kann daher auch nicht Ziel des folgenden Kapitels sein, irgend eine der musikalischen Traditionen als solche abzuwerten oder diejenigen Menschen gering zu schätzen, welche diese Musiktradition lieben, achten und zum Klingen bringen.

 

Sondern worum es im folgenden Kapitel geht, das ist der Hinweis darauf, dass bei neu entstehender mikrotonaler Musik grundlegend anders gedacht wird als bei traditioneller Musik. Dieses neue Musikdenken ist sinnvoll, aber es kann – auf andere Art als bisheriges Musikdenken – verbunden werden mit Missbrauch.

 

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Symboldeutungen konnten immer wieder in der Geschichte eigentümliche Kausalketten auslösen – und zwar teils „im Namen der Musik“:

 

Wenn z.B. die Terz 4:5 als Hinweis auf „die Teufelszahl 5“ gedeutet wird (was bei 5er-Takten noch im 20.Jahrhundert ernstlich geschah),

 

http://www.soyka-musik.at/upload/media2/Zu%20Mikrobuch%20-%20Terzen%20gro%DF,%20verschiedene.mp3

 

oder wenn die Primzahl 7 als „böse 7“ dargestellt wird (ebenfalls noch im „aufgeklärten“ 20. Jahrhundert), usw. usf.

 

http://www.soyka-musik.at/upload/media2/Zu%20Mikrobuch%20-%20X%20Naturseptime%204%20zu%207%20Frequenzverh%E4ltnis.wav

 

Solche verbale Wertungen über Musik wurden nicht immer offen ausgesprochen – wie also könnten musizierende Menschen sich gegen Unterstellungen verwahren ? Und wie könnten Mitbetroffene sich wehren ?

 

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Um deutlich zu machen, wovon hier die Rede ist, folgen hier ein paar Beispiele, wie eine Symbolisierbarkeit musikalischer Merkmale offensichtlich (aus heutiger Sicht) missbraucht wurde, um gänzlich außermusikalische Interessen zu „legitimieren“, zu verfechten usw.:

 

„Entartete Musik“, „Janitscharenmusik“, „Sphärenklänge“, „Volksmusik“, „Unsere Musik“, „Meditationsmusik“, „Marschmusik“, „Revolutionsmusik“, „Nationalhymne“, „Schulmusik“ „Filmmusik“ usw. Nicht nur Etikettierungen (die meist allzu pauschal erfolgen) zeigen sich hier, sondern damit verbunden sind auch Macht- und Gewinn-Ansprüche der einen auf Kosten der anderen.

 

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Wo Musik z.B. für „Aktionen des Widerstands“ eingesetzt wird, ist das ebenfalls ein Verfügen außermusikalischer Instanzen über den Sinn der Musik hinweg. So leid es mir tut, aber es muss einmal formuliert werden: Wer den (z.B. den politischen usw.) Missbrauch von „schöner“ Musik befürchtet, und ihn zu vermeiden versucht, indem er statt „schöner“ Musik nun bewusst „keine schöne“ Musik bereitstellt, betrügt zwar den mächtigen Betrüger, findet aber dennoch keinen Ausweg aus dem Dilemma als solchem. Denn mit dieser „Widerstandsmethode“ wird das Ausmaß des Missbrauchs von Musik ja nicht geringer – im Gegenteil.

 

Ob nun für Propaganda oder für Gegenpropaganda – in beiden Fällen handelt es sich um den Einsatz von Musik für außermusikalische Zwecke, also um einen Missbrauch (der schon oft „nur zum Besten und zum Schutz der Musiker gemeint“ war).

 

Es spielt musikalisch betrachtet keine Rolle, wie mächtig oder ohnmächtig die jeweilige Opposition zurzeit ist, oder wie berechtigt sie agiert: Denn die Machtverhältnisse und das Rechtsbewusstsein der Kämpfenden wechseln rasch, während die Musik der ihr auferlegten Rolle dann nicht mehr so bald entkommen kann. Sie bleibt für lange Zeit den Zwecken ihrer Benutzer und deren Gegnerschaften ausgeliefert.

 

Ob durch Vorschriften, Moden oder Verbote: Es ist immer das Musikdenken, welches bei Konflikten zwischen musikbezogenen Wertsystemen auf der Strecke bleibt.

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Missbrauch von Musik lässt sich vielleicht durch Ausnahmesituationen rechtfertigen (vgl. die Notwehrparagraphen).

 

Aber selbst in solchen Fällen bleibt der Übergriff auf die Musik festzustellen, und dieser dürfte eigentlich niemals über die echte, unmittelbare Notwehr hinaus reichen.

 

Bei Notwehrüberschreitung werden nämlich letztlich die Musik (und dadurch die Musikschaffenden und Musizierenden) zu unschuldigen Opfern gemacht. Genau diese Notwehrüberschreitung  geschieht aber leider immer wieder – oft über Jahrzehnte hinweg.

 

Demgegenüber bleibt eine einfache Wahrheit festzustellen: Musik ist Musik – und wenn sie noch so sehr verwendet werden konnte zur Codierung außermusikalischer Informationen. Mehr als Musik wird die menschliche Musik letztlich nie sein können.

 

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Aber täuschen wir uns nicht: Schon wo meine Kapitel gelesen werden, ist dies ein Zeichen dafür, dass hier außermusikalisches Interesse mit beteiligt ist. Und schon mein Schreiben über Mikrotonalität entspringt nicht rein innermusikalischem Denken und ist nicht rein innermusikalisch motiviert – der Missbrauch ist als Option bereits mitgedacht.

 

Aus konkreten Tonfolgen und Frequenzzusammenhängen Rückschlüsse ziehen zu wollen (etwa wie das in der Graphologie versucht wurde) auf eine bestimmte Rasse, auf ein Geschlecht, auf Absichten einer Person, auf eine Religion, auf Verhaltensweisen, auf Neigungen, auf Intelligenzgrade, auf Temperamente, auf Reife oder Unreife, auf eine Geisteshaltung usw.: Dies bleibt ein Unterfangen, das manchmal vielleicht mehr oder weniger glücken kann.

 

Bei solchen Rückschlüssen handelt es sich immer um ein subjektives Wagnis. Das Risiko solcher Deutungen kann nicht das Musikleben in seine Verantwortung übernehmen, sondern verantwortlich sind dafür immer nur jene, die sich die Musik für ihre Zwecke „zurecht“-deuten wollen.

 

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Auf ein paar mögliche Unterstellungen möchte ich hier auch noch vorsorglich reagieren: Mikrotonale Musik zu komponieren bedeutet weder eine Zuwendung zu einem anderen Kulturkreis noch dessen Okkupation. Mikrotonale Musik ist weder ein Zeichen des Verfalls einer Kultur noch deren Überwindung.

 

http://www.soyka-musik.at/upload/media2/UD%20Soyka%20Nano%20Music,%20aus%202.Satz.mp3

 

Mikrotonale Musik ist Musik, und letztlich nichts als Musik. Jeder „Bedeutungsgehalt“ dieser Musik ist etwas Zusätzliches, von innen oder von außen Vermutetes, empfundenes, Hinzugefügtes.

 

Auch Vermutungen über Musik unterliegen einer Legitimationspflicht:

 

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Aus diesem Kapitel wird hier nur ein Teil veröffentlicht.

 

Bestellung des kompletten Buches bei ud ( at ) soyka-musik.at

 

MMag.art. Ulf-Diether Soyka, Komponist | Marzellingasse 12/14 | A-3400 Klosterneuburg | Tel.mobil +43 676 4268277.
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